Geschichte: Die Örtze - Der echteste Heidefluss
Die Örtze ist etwas Besonderes, darin sind sich alle einig.
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Kanuten schätzen den
Heidebach für seinen größtenteils unbegradigten, kurvenreichen Verlauf. Sie
wollen sanft dahingleiten und Natur pur genießen. Naturschützer mühen sich seit
Jahrzehnten diese Natürlichkeit zu bewahren und die Örtze wieder zu dem zu machen,
was sie lange Zeit war – der Lachsfluss in der Heide.
Wie ist die Örtze entstanden?
Entstanden ist die Örtze durch das
Schmelzwasser der letzten Eiszeit. Die abfließenden Wassermassen spülten vor
etwa 150.000 Jahren ein breites Urstromtal aus, durch das die Örtze bis heute
den Mittelteil der Südheide entwässert. Ihren Anfang macht die Örtze auf dem
heutigen Truppenübungsplatz Munster-Nord. Zahlreiche kleinere Heidebäche, wie
die Ilster, die Kleine Örtze und die aus dem Wietzenbruch bei Wietzendorf
kommende Wietze führen ihr auf ihrem Weg zur Aller Wasser zu. Darum gilt die
Örtze, wenn sie nach rund 62 Kilometern
in die Aller fließt, als ihr größter rechter Nebenfluss. Die Böhme im Westen
ist zwar ein paar Kilometer länger, bewegt allerdings nicht so viel Wasser.
Der Heidefluss Örtze als Verkehrsweg
Alt ist auch die Geschichte der Örtze
als Verkehrsweg. Louis
Harms, der Begründer der Hermannsburger Mission berichtete, dass bereits im 10.
Jahrhundert Landolf, der erste christliche Missionar des Celler Landes, mit dem
Boot zunächst die Aller und dann die Örtze hinauf gepaddelt kam, um vom
Sachsenherzog Hermann Billung die Erlaubnis zum Verkünden des Evangeliums zu
erbitten. Harms lieferte
in seinem Buch „Goldene Äpfel in silbernen Schalen“ auch einen Erklärungsansatz für den Namen des
Baches. Abgeleitet vom altdeutschen Wort „Horz“ für Pferd, soll der Name demnach
den schnellen und springenden
Verlauf der Örtze beschreiben. Diese Namensdeutung ist allerdings nicht
unumstritten. Andere deuten ihn als „die stark Strömende“.
Die Örtze als Lachsfluss
Eindeutig belegbar ist, dass die
Örtze in der Vergangenheit die Heimat vieler Lachse war. Südlich von Wolthausen
wurde seit dem 15. Jahrhundert ein herrschaftlicher Lachsfang betrieben. An
einem Stauwehr wurden die Lachse in Körben gefangen und an die Schlossküche in
Celle geliefert. In der Fangsaison 1679 – 1680 wurden auf diese Weise 144
Lachse gefangen, die zusammen 449 Pfund wogen.
Rückgang des Lachbestandes
Als Folge des technischen Fortschritts
ging der Bestand der Lachse immer weiter zurück. Insbesondere die großen
Stauwehre und Schleusen in Aller und Weser, aber auch das Mühlenwehr in
Wolthausen machten es für die Lachse unmöglich, an ihre Laichplätze
zurückzukehren. Der letzte Lachs wurde 1927 vom Müdener Kantor Schütze mit der
Angel gefangen. Lachse sind bekanntermaßen Wanderfische, die ihre Kinderstuben
verlassen, um in den Nordatlantik bis Grönland zu schwimmen. Nach etwa fünf
Jahren versuchen sie dann zurückzukehren, um an ihren Schlupforten neue Eier zu
legen. Die dafür nötigen Kiesbänke wurden aber immer mehr von Sand überlagert
oder auch ausgebaggert. Die Populationen von Lachs und Meerforelle gingen auf
null zurück.
Intensive Nutzung der Örtze
Die Örtze wurde in der Vergangenheit
vom Menschen intensiv genutzt. An ihren Ufern wurden zwischen Müden und der
Mündung bei Winsen ab dem 17. Jahrhundert etwa 20 Bindestellen für Holzflöße angelegt.
Dazu wurde die Böschung abgeflacht, um die in den nahen Wäldern gehauenen
Stämme leichter ins flache Wasser rollen und zu Flößen binden zu können. Zwei
bis drei Meter breit und gut 20 Meter lang wurden diese Holzflöße. Mehr ging
auf der kurvenreichen Örtze nicht. Uferabbrüche drohten, wenn ein Flößer sein
Gefährt nicht im Griff hatte. Dazu erschwerten einige Stauwehre die
ungehinderte Flussfahrt. Der Müller in Wolthausen und bis 1806 auch der gut
einen Kilometer weiter flussabwärts arbeitende Lachsfänger mussten für jedes
Floß ihre Stauwehre in der Örtze öffnen. Sie ließen sich diesen Dienst und den
damit verbunden Verdienstausfall von den Holzhändlern gut bezahlen. Lohnenswert
war die Flößerei auf der Örtze dennoch, denn vor allem in der Gründerzeit war
der Bedarf an Bauholz groß und der Holzverkauf brachte entsprechend große
Gewinne. In den Jahren 1869 bis 1879 fuhren jedes Jahr durchschnittlich 1.200
Flöße die Örtze hinunter. Mit dem Bau der Eisenbahnen wurde die Flößerei auf
der Örtze unrentabel. Zudem versandete der Unterlauf des Flusses immer mehr und
das Interesse der Obrigkeit, die Befahrbarkeit durch aufwendige Arbeiten zu
verbessern, schwand.
Rieselwiesen an der Örtze
Ende des 19. Jahrhunderts wurden
vielerorts neue Stauanlagen in die Örtze gebaut und das angestaute Wasser über
die Wiesen geleitet, um den Heuertrag zu steigern. Diese Bewässerungswiesen
prägten, bis zur Einführung des Kunstdüngers, die Auenlandschaft der Örtze. Von
größeren Umbaumaßnahmen blieb der Bach allerdings verschont, so dass er sich heute
wieder als naturnaher Lebensraum präsentieren kann.
Durch den Bau von
Klärteichen am Truppenübungsplatz und moderner Kläranlagen für die Dörfer wurde
die Wasserqualität wieder deutlich verbessert. Schwarzerlen, Eschen und andere
Laubbäume säumen die Ufer. In ihrem Schatten kann sich die Örtze ihren
Charakter als sommerkalter Heidebach bewahren. Der gesamte Verlauf wurde zum
Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Gebiet erklärt, denn viele bedrohte Pflanzen-,
Insekten- und Fischarten kommen hier noch vor.
Hierzu gehören:
- der Flutende Hahnenfuß
- das Sternchenmoos
- die Grüne Keiljungfer
- die blaue Prachtlibelle
Fische wie die Bachforelle, Äsche, Mühlkoppe und die zu den
Rundmäulern zählenden Bach- und Flussneunaugen prägen die Unterwasserwelt der
Örtze als Referenzgewässer des Landes Niedersachsen.
Auch andere Tiere sind hier zu Hause:
- Eisvogel
- Fischotter
- Schwarzstorch
- Wasseramsel
Wasserwandern auf der Heide echtester Fluss
In diesem Naturparadies ist Paddeln
ein ganz besonderes Vergnügen. Die hohe Fließgeschwindigkeit und der sehr
kurvenreiche Verlauf stellen aber auch geübte Kanuten vor echte
Herausforderungen. Der Lohn ist die Ruhe. Eins werden mit der Natur. Einfach
nur sanft Dahingleiten und mehrere Stunden den Lärm und Stress des Alltags
vergessen.
Ein unvergessenes Erlebnis für Wasser- und Naturfreunde.
Geeignete
Ausrüstung können Interessierte bei Bootsverleihern in der Region ausleihen.
Eine von ihnen ist Irmhild Siemering aus Hermannsburg. Sie ist zertifizierte
Kanutouristikerin und Mitglied im Bundesverband Kanu e.V.. Unter dem Titel Kanu-Feeling bietet
sie individuelle Touren auf Aller und Örtze an. Qualität und Nachhaltigkeit
stehen für sie dabei im Vordergrund. Das beginnt mit den unsinkbaren Booten und
zeigt sich besonders in den ausführlichen Einweisungen, die jeder Tour
vorangehen. Die Örtze ist halt etwas Besonderes und es gelten besondere Verhaltens- und
Befahrensregeln. Um die Uferbereiche und Auen zu schonen, darf beispielsweise
nur an den entsprechenden Stellen ein- und ausgestiegen werden. Damit die
ökologisch besonders wertvollen Kiesbänke erhalten bleiben, wird nur bei
ausreichender Wassertiefe gepaddelt. An den Bootsanlegern müssen die
Pegelstände dafür grün anzeigen. Außerdem
sind ausschließlich kleine Boote mit eindeutiger Kennzeichnung und nur in der
Zeit zwischen 16. Mai und 14. Oktober zugelassen. Verantwortungsbewusste
Bootsverleiher, wie Irmhild Siemering von Kanu-Feeling, kennen und achten diese
Regeln, damit der wildromantische Charme der Örtze und ihre besondere Natürlichkeit
auch in der Zukunft bewahrt bleiben.
Der oft zitierte Heideromantiker
Hermann Löns schrieb mit Recht:
„Viele Flüsse und Flüßchen hat die Lüneburger Heide; ihr echtester Heidefluß
aber ist die Örtze.“
Die Örtze brachte die Menschen auf fantastische
Geschichten. Wohl um ihre Kinder vom Spielen in der Örtze abzuhalten, erfanden
Eltern den Otterbock. Niemand hat ihn jemals gesehen, aber wer zu dicht an das
Wasser ging, wurde angeblich von ihm geschnappt und unter Wasser gezogen. Dank
dieser Schauergeschichte soll so manches Kind davon abgehalten worden sein, in
die Örtze zu springen, bevor es schwimmen gelernt hatte.
Der Bach und sein Umfeld inspirieren
bis heute viele Menschen. An den Ufern von Örtze, Wietze und Kleiner Örtze, im
Kulturraum Oberes Örtzetal, schufen verschiedene Künstler der Region den
Skulpturenweg Wasserkunst. Raumgreifende Kunstwerke unterschiedlichster Art
gilt es zu entdecken. Über Rad- und Fußwege sind sie alle miteinander verbunden
und gut zu erreichen.
Äschen in der Örtze - Ein Zeichen guter Wasserqualität
Etwas Besonderes spielt sich in der
Örtze unter der Wasseroberfläche ab. Fische gehören zu den Lebewesen, die oft
wenig beachtet werden, weil wir sie nicht leicht sehen oder hören können. Lange
Zeit unbeachtet hat sich im Oberlauf der Örtze ein autochthoner Äschenbestand
erhalten. Das heißt hier lebt noch eine einheimische, sich selbst
reproduzierende Population dieses Fisches. Äschen sind sehr empfindlich, was
die Wasserqualität und -temperatur angeht und sie benötigen Kiesbänke in
Flachwasserzonen als Laichplätze.
Dank umfangreicher Bemühungen ist die gute
Wasserqualität der Örtze weiter gestiegen und die Kiesbänke und deren Erhalt
sind im Fokus von engagierten Naturschützern. Einer von ihnen ist Dieter Kreuziger.
Er ist Vorsitzender der Angelsportgemeinschaft (ASG) Müden/Örtze e.V. Die ASG
und die anliegenden Fischereivereine an der Örtze bemühen sich seit vielen
Jahren den Lachs, die Meerforelle sowie verschiedene Kleinfischarten wieder in
der Örtze heimisch werden zu lassen. Auch an anderen Flüssen und Bächen in
Niedersachsen beteiligen sich viele an dem ambitionierten Vorhaben. Zu diesem
Zweck werden die Kiesbänke als potentielle Laichplätze gepflegt und als
Initialbesatz tausende von aufgezogenen Junglachsen und Meerforellen
ausgesetzt, in der Hoffnung, dass einige von ihnen zurückkehren und wieder
einen natürlichen Bestand begründen. Um den Wiederaufstieg der Lachse zu
ermöglichen, laufen seit langem Bemühungen die zahlreichen Barrieren zu
entschärfen. Eine Möglichkeit sind dabei so genannte Fischtreppen. Diese
künstlich geschaffenen Umleitungen sollen es Wanderfischen und Kleinstlebewesen
ermöglichen, ohne Schäden und Verluste flussauf- und flussabwärts zu schwimmen.
Eine solche Fischtreppe gibt es am
alten Mühlenwehr in Wolthausen. Die heutige Mühle in Wolthausen wurde 1904
gebaut. Der Vorgängerbau war noch in Fachwerkbauweise ausgeführt, brannte aber
um die Jahrhundertwende ab. Mehl wird hier nicht mehr gemahlen, aber mit der aufgestauten
Kraft des Wassers wird elektrischer Strom erzeugt. Seit 1972 bemüht sich Berthold
von Limburg die Mühle zu erhalten. Er hat mit großem persönlichen Aufwand die
Gebäude hergerichtet und die umgebene Kulturlandschaft weiterentwickelt. Seine
Fischtreppe führt in insgesamt zehn Stufen unter dem alten Nebengebäude
entlang. Von Limburg hat bereits einige Fische dabei beobachtet, wie sie diesen
Weg bachaufwärts nahmen. Auch Bachneunaugen gehörten dazu. Bis Lachse und
Meerforellen wieder in Scharen zurückkommen können, sind allerdings noch
weitere Bemühungen nötig. Die von der EU geforderte Durchgängigkeit von
Fließgewässern bis zum Jahr 2015 ist vielerorts noch ein Problem.
Entecken auch Sie die Landschaft entlang der Örtze!
Naturinteressierten sei der Fluss-Wald-Erlebnis-Pfad
empfohlen. Dieser Entdeckerpfad entlang der Örtze
bietet viel Wissenswertes. Zwischen Müden (Örtze) und Hermannsburg verlaufen
die Teilabschnitte Kleiner und Großer Flusspfad (3 bzw. 7,5 km) und Kleiner und
Großer Waldpfad (3,5 bzw. 6,5 km). An 40 Wegstationen gibt es viel zu
entdecken.
Weitere Informationen über Ausflugziele, aktuelle Pegelstände und Befahrensregeln der Örtze, aber auch für den Erwerb von Angelerlaubnisscheinen sind bei den Tourist-Informationen in Müden (Örtze) und Hermannsburg erhältlich. Es gibt viele Gründe und Wege, den „echtesten Heidefluss“ einmal selbst zu erleben.