HEIDE fragt: [Interview] Heidschnuckenschäfer in der Lüneburger Heide: Carl W. Kuhlmann
Für jeden Tag im Jahr eine Heidschnucke
Heidschnuckenzüchter in der Lüneburger Heide
Im Mittelalter waren unsere Heidebauern auch Heidschnuckenzüchter. Heute ist das Züchten von Heidschnucken ein eigenständiger Beruf, der aus der Tradition heraus gewachsen ist. Doch was verbirgt sich hinter diesem Beruf?
Wir haben bei Carl W. Kuhlmann (Heidschnuckenzüchter und erster Vorsitzender des Verbandes Lüneburger Heidschnuckenzüchter e.V.) nachgefragt.
Herr Kuhlmann, Sie sind Heidschnuckenschäfer in der Lüneburger Heide und zugleich Vorsitzender des Verbandes Lüneburger Heidschnuckenzüchter e.V.
Ist Heidschnuckenzüchter ein Traumberuf für Sie?
Die Frage kann ich nur mit einem klaren ja beantworten. Der direkte Umgang mit den Tieren und der ständige Aufenthalt in der wunderschönen Heide-Natur zu jeder Jahreszeit machen den Job zu einem Traumberuf für mich.
Was hat Sie dazu bewegt, Heidschnuckenzüchter zu werden?
Unser Heidschnuckenhof ist seit Generationen im Familienbesitz, die Heidschnucken haben für mich seit meiner frühen Kindheit immer dazugehört und ich wollte die Familientradition auf dem Hof fortsetzen. Meine Eltern haben mich aber nie dazu überreden müssen, diese Tradition fortzuführen, mir gefiel seit jeher das Leben und die Arbeit mit den Tieren.
Wie hat sich die Heidschnuckenzucht in den vergangenen Jahrzehnten verändert und vor welchen Herausforderungen stehen die Heidschnuckenzüchter heute?
Heute gibt es in der Lüneburger Heide nur noch relativ wenige Herden, denn die Heidschnuckenzucht ist nur noch eine Nische. Gab es um 1860 herum noch über 800.000 Tiere in der Lüneburger Heide sind es heute nur noch etwa 12.000 Tiere. Das liegt vor allem an den veränderten Aufgaben und Zielen der Heidschnuckenzucht. Heute geht es im Wesentlichen um den Erhalt der Heideflächen, wohingegen die Schnucken früher als Lieferanten von Wolle, Fleisch und Dünger gehalten wurden.
Die Heidschnucken werden ja auch als tierische Landschaftspfleger der Lüneburger Heide bezeichnet. Welche Aufgaben haben die Heidschnucken in der Lüneburger Heide?
Die Heidschnucken haben zwei besondere Aufgaben hier in der Lüneburger Heide. Zum Einen fressen sie die grünen Triebe der Heidepflanze. Darauf reagiert die Heidepflanze mit neuen Trieben und wird auf diese Weise verjüngt. Auf diese Weise wird die Heide kurzgehalten und verholzt nicht. Außerdem verbeißen die Schnucken junge Bäume, die sich sonst auf den Heideflächen ausbreiten und die Heidepflanzen nach und nach zurückdrängen würden. Überließe man die Heideflächen der Natur, würden sie so in kurzer Zeit von Wald überwuchert und verschwänden. Die Heide ist eben eine Kulturlandschaft, die gepflegt werden muss, wenn sie erhalten werden soll. Die Heidschnucken leisten dazu einen wichtigen Beitrag.
Wie viele Heidschnuckenherden gibt es in der Lüneburger Heide?
Heute gibt es noch ca 12 Herden in der Heide. Um 1860 hatte praktisch jeder Hof in der Heide eine eigene Heidschnuckenherde.
Aus wie vielen Heidschnucken besteht im Durchschnitt eine Herde?
Es gibt ein „Altes Arbeitsmaß“ von früher Zeit her. Das waren 360 Muttertiere pro Herde bzw. auf einen Schäfer gesehen. Heute bestehen die meisten Herden aus ca 400-450 Tieren. Das alte Arbeitsmaß ist vor dem Hintergrund zu erklären, um wie viele Tiere sich ein Schäfer gut kümmern konnte, was ein Schäfer in der Hütung, Versorgung, Gesundheitsversorgung der Tiere also leisten konnte. Eine Faustregel war: Für jeden Tag im Jahr ein Schaf.
In jeder Herde sind auch Ziegen dabei. Welche Aufgaben haben die Ziegen in einer Heidschnuckenherde?
Das ist richtig, Ziegen sind seit kurzem „Mitglieder“ der Heidschnuckenherden. Zurückzuführen ist das auf eine neue EU-Förderung. Bei der Heidschnuckenhaltung bzw dem Hüten geht es ja heute vor allem um den Landschaftserhalt und dafür ist vor allem der Verbiss junger Baumpopulation auf den Heideflächen von großer Bedeutung. Dabei kommen die Ziegen ins Spiel: sie verbeißen Büsche und Hölzer noch besser als die Schnucken. Heidschnucken verbeißen die unerwünschten Hölzer bis etwa 1,50 Meter und Ziegen sogar bis ungefähr 2,50 Meter Höhe. Dafür klettern die Ziegen richtig die Bäume hoch, biegen Äste herunter, weitere Tiere halten dann unten fest und knabbern die Triebe ab. Echtes Teamwork sozusagen. Übrigens auch spannend zu beobachten.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag eines Heidschnuckenzüchters aus, Herr Kuhlmann?
Dafür gibt es keine allgemeingültige Antwort, der Arbeitsalltag variiert von Schäfer zu Schäfer. Grundsätzlich ist der Arbeitstag abhängig davon, ob eine Herde im Pferch gehalten wird oder aber abends im Stall ist. Ich selbst halte die Tiere über Nacht sowohl drinnen im Stall als auch oftmals draußen im Pferch. Die Tiere werden im Sommer zum Beispiel morgens um 8.30 Uhr aus dem Pferch geholt und dann tagsüber gehütet, d.h. wir ziehen tagsüber über die Heide. Danach um ca 16.30 Uhr kommen die Tiere dann zurück in den Pferch. Grundsätzlich dauert der Arbeitstag so lange, wie es draußen hell ist.
Ich lege tagsüber ca 10-12 km mit der Herde zurück. Die Strecke variiert dabei praktisch täglich. Würden wir täglich dieselbe Strecke gehen, würde durch den sich anhäufenden Kot der Tiere auf dieser Route ein vermehrter Nährstoffeintrag erfolgen. Dadurch würde die Heide, die ja gerade auf nährstoffarmen Böden wächst, mit Gräsern und jungen Bäumen überwuchert und schließlich verdrängt werden. Die Tiere müssen zweimal am Tag satt sein. Sie wissen, dass das Ziehen über die Heide täglich für einen gewissen Zeitraum stattfindet. Sie schätzen diesen Zeitraum also ein und schnökern dann während des Hütens langsam vor sich hin. Ich ziehe mit der Herde dabei voran, die Herde ist praktisch immer langsam in Bewegung.
In der Zwischenzeit muss der Schäfer dann tagsüber meist auch noch den Pferch umbauen, also versetzen. Die Versorgung der Tiere mit Wasser im Pferch muss dabei ebenfalls organisiert werden. Dieser „Umzug“ findet statt, weil eine Fläche je nach Größe des Pferchs über Nacht schon abgegrast sein kann. Der Pferch muss also oft täglich umgesetzt werden. Die Pferche sind zwischen 2500 und 4000 Quadratmetern groß. Auch Aufgaben wie das Schären sind natürlich zu erledigen.
Woher stammt der Name „Schnucke“?
Der Name „Schnucke“ leitet sich von Schnökern ab, sie naschen hier ein bisschen und dort ein bisschen. Schnökern stammt aus dem mittelhochdeutschen und bezeichnet eben dieses Naschen.
Sind die Heidschnuckenherden eigentlich jeden Tag in der Heide unterwegs? Oder gibt es Jahreszeiten, in denen man Sie und die Heidschnucken nicht in der Lüneburger Heide antreffen kann?
Ich bin praktisch tagtäglich an 365 Tagen im Jahr mit der Herde im Naturpark Südheide unterwegs. Es gibt aber auch einige Herden, die zur Hauptlammzeit ca 2-3 Wochen im Stall bleiben.
Herr Kuhlmann, wie können unsere Gäste die Heidschnucken vor Ort erleben?
In vielen Orten werden Heidewanderungen angeboten, bei denen man eine Heidschnuckenherde in der weiten Heidelandschaft trifft. Außerdem gibt es Angebote auf einigen Heidschnuckenhöfen, den Eintrieb der Tiere in den Stall mit zu erleben und dabei Wissenswertes über die Heidschnucke zu erfahren. Und natürlich hat jeder Gast, der zum Beispiel den Heidschnuckenweg entlang wandert die Chance, unterwegs einer Herde zu begegnen. Für viele unserer Gäste sind das die ganz besonderen Momente während eines Aufenthalts in der Lüneburger Heide.
Die Heidschnucken sehen mit ihrer dicken Wolle so wunderbar flauschig aus. Was passiert eigentlich mit der Wolle?
Die Heidschnucken werden einmal im Jahr geschoren, und zwar nach den Eisheiligen und vor der Schafskälte. Heidschnuckenwolle stellt heute keinen ökonomischen Faktor mehr da. Es gibt aber viele örtliche Künstler, die zum Beispiel tolle Filzprodukte aus der Wolle herstellen. Diese Produkte, die natürlich ein beliebtes Urlaubssouvenir sind werden auf regionalen Märkten und Veranstaltungen verkauft, wie zum Beispiel bei der Heidschnuckenbockauktion in Müden (Örtze). Es gibt auch einen lokalen Anbieter, der die Wolle zu Dünger verarbeitet, der Dünger heißt passenderweise Schnuckidu.
Welche Möglichkeiten haben unsere Gäste, die sich für den Erhalt der Heidschnuckenherden engagieren möchten?
So merkwürdig das klingt: Einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der Herden wird geleistet, wenn das Fleisch gekauft wird. Die Verjüngung der Herden ist von besonderer Bedeutung für den Erhalt, der Erhalt geht sozusagen durch den Magen.
Beim Verein Naturschutzpark Lüneburger Heide können Gäste eine Heidschnuckenpatenschaft eingehen, die den Erhalt der Heidschnuckenherden unterstützt.
Das Fleisch der Heidschnucke gilt ja auch als regionale Delikatesse.
Was ist das Besondere an Heidschnuckenfleisch?
Das Fleisch zeichnet sich durch seinen wildbretartigen Geschmack aus, schmeckt also weniger nach Lamm oder Schaf denn mehr nach Wild. Das Fleisch ist von besonderer Qualität und ist absolut naturbelassen. Aufgrund der ganzjährigen Hütehaltung und des extensiven Gehüts ist das Fleisch außerdem besonders fettarm. Einfach lecker!
Wo können unsere Gäste das Heidschnuckenfleisch erwerben?
Es gibt in der Lüneburger Heide mehrere Fleischereien, die Fleisch und Wurst von der Heidschnucke anbieten. Dies sind die Schlachterei Hiestermann in Hermannsburg, Fischer´s Heide-Schlachterei in Winsen (Aller), Heide-Schlachterei Meyer in Behringen sowie die Landschlachterei Albers in Egestorf. Tolle Rezepte für die Zubereitung gibt es zum Beispiel im Kochbuch „Lieblingsgerichte aus der Lüneburger Heide“. Darin verraten Heidjer und Köche aus der Region ihre Lieblingsrezepte.
Im Urlaub will man sich natürlich auch verwöhnen lassen und kann köstliche Heidschnuckengerichte nach traditionellen Rezepten aus der Region in der örtlichen Gastronomie genießen.
Und was ist ihr Lieblingsgericht von der Heidschnucke?
Mein Lieblingsgericht ist der Heidschnuckenrücken, das leckerste und beste Stück von der Heidschnucke. Und es ist einfach zuzubereiten. Ich mag den Heidschnuckenrücken am liebsten mit einer Wallnuss-Senf-Kruste, dazu gibt es Spitzkohl und Heidekartoffeln. Und einen guten deutschen Spätburgunder….
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